In den Medien hält sich ein Mythos hartnäckig als besonders medienwirksam: „Videospiele machen gewalttätig!“. Beschrieben wird dies oft als die sogenannte „Killerspieldebatte“. Wenn man Quellen wie Bild, Stern und Co. Glauben schenkt, dann erhöhen Videospiele mit Gewaltinhalten nicht nur das Aggressionspotenzial, sie senken die Inhibition, sorgen für sozialen Absturz, schlechte Noten und würden sogar Amokläufe inspirieren. Wer „Killerspiele“ wie Call of Duty, Grand Theft Auto, Counter Strike und andere ähnliche Spiele spielt, soll gewalttätig werden – aber stimmt das wirklich?
Wo kommt dieser Mythos her?
Diesem Mythos ist vermutlich jeder schon einmal begegnet. Durch Boulevardblätter, RTL II und populärwissenschaftliche Killerspiel-Missionare wird immer wieder gepredigt: „Wer Spiele mit Gewaltinhalten konsumiert, ist aggressiv und hat eigentlich sowieso schon seine Zukunft weggeworfen.“. Viele Schlagzeilen sorgen für einen immer wieder aufkommenden (auch politischen) Diskurs bezüglich der Gefährlichkeit von Videospielen und insbesondere der von „Killerspielen“.
Politiker, wie Donald Trump (1) oder Volker Kauder (CDU) (2) verweisen nach Amokläufen immer wieder auf Videospiele. In solchen Fällen wird der Konsum von Videospielen als Ursache für den Mord an vielen unschuldigen Menschen angeprangert. Andere Faktoren, wie die Zugänglichkeit zu Waffen oder soziale Faktoren bleiben in solchen Fällen, wenn überhaupt, nebensächlich. Im deutschsprachigen Raum wurden solche medialen Veröffentlichungen vor allem von Christian Pfeiffer, dem ehemaligen Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen, gestützt. Er brachte einen „wissenschaftlichen Glanz“ in reißerische Titulierungen und inspirierte eine Generation von Forschern und Forscherinnen, die Gefährlichkeit von „Killerspielen“ empirisch zu untersuchen. Wie belastbar ist diese Forschung jedoch? Welche Ergebnisse zeigen sich? Und gibt es vielleicht auch Gegenthesen zu dem Gedanken, dass Killerspiele zu Gewalttätigkeit und sozialem Absturz führen?
Zu welchen Erkenntnissen kommt die Wissenschaft?
Aggressive Gedanken
In manchen Studien lässt sich tatsächlich ein positiver Zusammenhang zwischen Videospielen und gesteigertem aggressiven Gedankengut und Affekt finden (Prescott et al., 2018). Viele Studien, welche scheinbare „Belege“ für eine Ausweitung hin zu aggressivem Verhalten liefern, sind jedoch aufgrund ihrer Ungenauigkeiten in der Messmethodik, der Verwendung von ungeeigneten Testverfahren, um Aggressivität zu messen, oder sogar von Beginn an mit einem klaren „Bias“- einer Beeinflussung der Forscher durch eigene Auffassungen und Meinungen, durchgeführt worden (Mathur & VanderWeele, 2019). Möglich ist, dass solche Ergebnisse trotzdem als Begründung für den Mythos herangezogen werden, dass Gaming und Videospiele aggressiv und folglich auch gewalttätig machen würden. Aber ist das wirklich so einfach möglich? Viele sehr zentrale weiterführende Erkenntnisse und Aspekte werden dabei vernachlässigt.
Anzumerken ist zum einen, dass es sich bei den gefunden Relationen um Korrelationen handelt. Eine Korrelation bezeichnet einen Zusammenhang, drückt allerdings keine Kausalität aus. Das bedeutet, dass solche Studien nicht darstellen können, inwiefern und ob Videospiele zu aggressiven Gedanken führen. Tatsächlich könnte der Zusammenhang auch umgekehrt sein oder unter Einbezug weiterer Faktoren verschwinden.
Außerdem ist wichtig zu betrachten, dass manche Studien zwar einen kurzfristigen Zusammenhang von gesteigertem aggressiven Affekt nach dem Konsum gewalthaltiger Videospiele aufzuzeigen scheinen, dieser jedoch niemals längerfristig beobachtet werden konnte – ganz im Gegenteil. Gewalthaltige Computerspiele scheinen dabei helfen zu können, Stress abzubauen, Erfolgserleben zu verspüren und sich zu entspannen. Dadurch können sie Menschen helfen, aggressiven Impulse und Affekte zu regulieren. Längerfristig scheinen sie also die tatsächliche Aggressionsbereitschaft einer Person zu senken. Dies gilt vor allem für Menschen mit einem hohen aggressiven Grundpotenzial, den Menschen also, die am wahrscheinlichsten Gewalt ausüben würden. (Breiner & Kilobius, 2019)
Aggressionssteigernde Kurzzeiteffekte werden von „liberalen“ Videospielgegnern und Gegnerinnen vor allem oft mit der durch gewalthaltige Videospiele hervorgerufenen Frustration in Verbindung gebracht. Nicht nur die Gewalt soll aggressionssteigernd wirken, sondern auch die durch das Spielen hervorgerufene Frustration soll zu aggressionssteigernden Kurzzeiteffekten nach dem Videospielkonsum beitragen.
Vielen kommt das vielleicht auch selbst bekannt vor: das Level ist schon wieder nicht geschafft, gestartet werden muss wieder vom letzten Speicherpunkt, den man jetzt schon hundertmal gesehen hat – und schon ist die Laune dahin. Doch nicht einmal für Frustration lassen sich stabile aggressionssteigernde Effekte finden (Květon & Jelínek, 2020). Auch hier landet die Theorie, dass das Spielen von Videospielen zu Gewalt führen, also wieder in einer Sackgasse.
Aggressive/gewalttätige Handlungen
Zusätzlich sind aggressive Gedanken, beziehungsweise ein aggressiver Affekt, nicht mit gewalttätigen Handlungen gleichzusetzen. Entscheidend ist letztendlich, ob eine Person den Gedanken an aggressive Handlungen auch wirklich umsetzt.
Um die Auswirkungen von Videospielen auf gewalttätige Gedanken und Verhaltensweisen aussagekräftig zu untersuchen, ist der direkte Vergleich von ähnlichen Videospielen mit und ohne gewalttätige Inhalte besonders aussagekräftig. Die folgende Studie bietet entsprechende Vergleichsmöglichkeiten.
Kneer et al. (2016) untersuchten in einer spannenden und sehr anschaulichen Studie die Effekte, die Spiele mit gewalttätigen Inhalten, im Vergleich zu gewaltfreien Spielen auf aggressive Verhaltensweisen, Kognitionen und Emotionen haben. Um zu testen, welche Auswirkungen entstehen, modifizierten sie einen first-person shooter. In einer der Bedingungen spielten die Teilnehmenden das Spiel „Team Fortress 2“. Flammenwerfer werden hier als Waffen genutzt und Tode von Gegnern sind gewalttätig dargestellt. In der modifizierten Version des Spiels wurden die Waffen durch „Rainbowblowers“ ersetzt, durch die Gegner nach einem Treffer lachend auf den Boden fallen. Das Bild verdeutlicht die Unterschiede und Gemeinsamkeiten.
Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig. Weder die Schwierigkeit des Spiels, noch die Darstellung von Gewalt hatten einen Einfluss auf aggressive Kognitionen oder Verhaltensweisen. Diese Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass Gewalt in Videospielen das Verhalten und Erleben nicht maßgeblich beeinflusst.
Soziale Faktoren
Wichtig zu betrachten ist entsprechend, welche anderen Faktoren eine Rolle bei der Entwicklung von aggressiven Gedanken und Verhaltensweisen haben können. DeCamp und Ferguson (2017) untersuchten den Einfluss von Kontextfaktoren, wie die Beziehung zu den Eltern, den sozidemographischen Status und das häusliche Umfeld auf gesteigertes aggressives Verhalten. Dies geschah in einem direkten Vergleich zu dem Einfluss, den „Killerspiele“ angeblich ausüben sollen. Die Ergebnisse der Studie zeigen eindeutig, dass die untersuchten Kontextfaktoren deutlich stärkere Einflussfaktoren auf gewalttätiges Verhalten darstellten, als der Konsum von „Killerspielen“. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass Effekte, welche scheinbar durch das Spielen gewalthaltiger Videospiele ausgelöst wurden, sich umkehrten oder nicht mehr signifikant wurden, bezog man Umweltfaktoren in die Modellberechnungen mit ein. Entsprechend stellen sozioökonomische Faktoren Aspekte dar, die in anderen Studien gefundene negative Effekte von Videospielen mit gewalttätigen Inhalten auf Emotionen und Affekt vollständig in Frage stellen.
DeCamp und Ferguson (2017) betonen ebenfalls, dass sie innerhalb ihrer Forschung nicht einmal einen Bruchteil der möglichen Kontextfaktoren, welche möglicherweise zu einer Aggressionssteigerung beitragen könnten, abgedeckt hätten. Entsprechend könnte der suggerierte Effekt durch gewalthaltige Videospiele möglicherweise noch geringer oder sogar invers sein. Sie zeigen in ihrer Studie zudem auf, dass Studien, welche Kontextfaktoren nicht miteinbeziehen, häufig Ergebnisse liefern, welche einen Zusammenhang zwischen gewalttätigem Verhalten und Videospielkonsum nahelegen. Studien, welche Kontextfaktoren jedoch berücksichtigen, liefern keine signifikanten Effekte. Somit zeigen sie einen systematischen Fehler in der Forschung rund um das Thema Gewalt und Videospiele auf.
Fazit
Studien zeigen entsprechend sehr eindeutig, dass der Konsum (gewalthaltiger) Videospiele nicht darauf schließen lässt, dass Personen auch gewalttätig werden. Keinesfalls lässt sich aus einem hohen Konsum gewalthaltiger Computerspiele eine Ursache für einen Amoklauf oder auch nur eine durch den Konsum erhöhte Bereitschaft dazu, einen Amoklauf zu begehen, ableiten (Breiner & Kilobius, 2019).
Fraglich ist, weshalb Videospiele in Medien und in der Politik immer noch als ursächlich für Gewalttaten beschrieben werden. Dies verhindert, dass die tatsächlichen Probleme angegangen werden und sorgt für eine fälschliche Darstellung von Effekten von Videospielen. Studien zeigen, dass, selbst wenn aggressive Gedanken ermittelt werden, der Effekt verschwindet, sobald soziale Faktoren miteinbezogen werden. Das bedeutet, dass an dieser Stelle angesetzt werden muss. Nicht Videospiele machen Amokläufer. Videospiele werden als Feindbild herangezogen, das medial groß gemacht wird. Die wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig. Und zwar eindeutig dahingehend, dass Medien und Politik damit einen völlig falschen Fokus setzen, der richtigen Interventionen und vor allem wirksamen Interventionen sowie Forschung an den richtigen Stellen durch immer wiederkehrende Diskussionen über Videospiele im Wege steht.
Entsprechend sollte der Fokus in den Medien von Videospielen als Ursache für Gewalttaten auf die tatsächlich ursächlichen Faktoren umgelenkt werden – unter anderem auf das soziale Umfeld (DeCamp & Ferguson, 2017).
Quellen
Breiner, Tobias & Kolibius, Luca. (2019). Computerspiele im Diskurs: Aggression, Amokläufe und Sucht. 10.1007/978-3-662-57860-5.
DeCamp, W., & Ferguson, C. J. (2017, Feb). The Impact of Degree of Exposure to Violent Video Games, Family Background, and Other Factors on Youth Violence. J Youth Adolesc, 46(2), 388-400. https://doi.org/10.1007/s10964-016-0561-8
(2) Gaca, C. (2016, 25. Juli). CDU-Fraktionschef Kauder will nach Amoklauf „diese Ego- Shooter-Spiele“ hinterfragen. Gamereactor
Kneer, J., Elson, M., & Knapp, F. (2016). Fight fire with rainbows: The effects of displayed violence, difficulty, and performance in digital games on affect, aggression, and physiological arousal. Computers in Human Behavior, 54, 142-148. https://doi.org/10.1016/j.chb.2015.07.034
Květon, P., & Jelínek, M. (2020). Frustration and Violence in Mobile Video Games. Swiss Journal of Psychology, 79(2), 63-70. https://doi.org/10.1024/1421-0185/a000236
Mathur, M. B., & VanderWeele, T. J. (2019, Jul). Finding Common Ground in Meta-Analysis „Wars“ on Violent Video Games. Perspect Psychol Sci, 14(4), 705-708. https://doi.org/10.1177/1745691619850104
Prescott, A. T., Sargent, J. D., & Hull, J. G. (2018, Oct 2). Metaanalysis of the relationship between violent video game play and physical aggression over time. Proc Natl Acad Sci U S A, 115(40), 9882-9888. https://doi.org/10.1073/pnas.1611617114
(1) Timm, J. C. (2019, 6. August). Fact check: Trump suggests video games to blame for mass shootings. NBC News.